Werk ohne Autorin – Schrödingers Grrrl von Marlen Hobrack
„Warum will der Autor seinen Roman nicht unter seinem Namen veröffentlichen?“ „Natürlich will er das!“, rief Hanno aus und warf die Hände theatralisch in die Luft.“ „Nichts lieber als das! Aber er ist ein alter weißer Mann. Du weißt schon, Mädchen: The Future is female! Und faltige alte Männer verkaufen such nicht auf Facebook oder Instagram. Die moderne Heldengeschichte ist weiblich. Die von der Putzfrau-zur-Millionärin-Geschichte ist weiblich. Niemand will die Coming-of-Age.Geschichte eines Twens aus der Feder eines alten Mannes lesen, schon gar nicht diese Bookstagrammerinnen.“
S. 60
Werbung, da Rezensionsexemplar. Dies ist der perfide Plan vom PR-Agenten Hanno und Schriftsteller Benjamin Richter. Richter ist ein „alter weißer Mann“, der einen Text über eine junge Frau geschrieben hat, die vom eigentlichen Autor so weit entfernt ist, wie Pipi Langstrumpf von Michel Houellebecq. Da kommt ihnen die junge Schulabbrecherin Mara, Anfang 20 gerade richtig. Mara ist arbeitslos, depressiv und träumt von einer Influencer-Karriere. Zufällig lernt sie Hanno in einer Bar kennen und lässt sich schnell dazu überreden, ihren Namen und ihr Gesicht für dieses Projekt herzugeben. Schließlich wird die ganze Chose auch noch gut bezahlt. Während sich Mara auf das Spiel einlässt, wird sie sich ihrer Sache immer unsicherer. Und dann lernt sie auch noch Paul kennen und plötzlich ist alles andere völlig unwichtig. Gelingt das Schauspiel und wird der Roman zum erhofften Erfolg? Bekämpft Mara ihre Depressionen und schafft den Weg aus der Arbeitslosigkeit?
„Schrödingers Grrrl“ ist nach dem Sachbuch „Klassenbeste“ der Debütroman der freien Autorin MarlenHobrack. Der Wahl-Leipzigerin ist ein moderner Entwicklungsroman gelungen, der wichtige und vor allem aktuelle Themen der Gegenwart aufgreift. Die junge Protagonistin passt nicht ins System und findet so nur schwer ihren Platz in der Gesellschaft. Das führt dazu, dass sie zu einer Hochstaplerin-wider-Willen wird und mehr passiv als aktiv in eine Betrugs-Maschinerie rutscht. Außerdem skizziert Hobrack ziemlich glaubwürdig die Herausforderungen, denen sich an Depressionen erkrankte Menschen im Alltag stellen müssen.
Tatsächlich hat mir persönlich die Love Story um Paul und Mara zu viel Raum im Roman eingenommen. Ich fand alles rund um die Buch-Veröffentlichung, die Kritik am Literaturbetrieb im Allgemeinen und Maras Struggle mit ihren Depressionen und ihrer beruflichen Findung weitaus spannender. Aber vermutlich ist dieser Erzählstrang nicht unwichtig bei der Beurteilung bzw. Identifikation mit Maras Persönlichkeit.
„Schrödingers Grrrl“ hat mich überrascht, wunderbar unterhalten und mir vor allem noch einmal einen neuen bzw. klareren Blick auf die hiesige Literaturlandschaft gegeben. Außerdem finde ich sowohl Titel als auch Covergestaltung extrem gelungen. Ich freue mich auf noch mehr Schreibkunst von Marlen Hobrack.
„Muss es uns wirklich kümmern, wer einen Text schreibt? Zeigt der Fall nicht unsere Fixierung auf die Person des Autors? Der Autor ist tot, ermordet von der Postmoderne, nun stakst er seelenlos durch inszenierte Textlandschaften. Das Textgeflecht aber lebt; lebt. Nun ist die Verlinkung von Text und Autorin aufgehoben, was bleibt, ist ein Link ins Nichts.“